Montag, 16. November 2015

Seit 100 Tagen sind wir nun zurück in Bremen, zurück in unserem alten Leben. Zurück in unserem alten Leben? Nein, so einfach ist das nicht. Wir konnten nicht nach 14 Monaten zurückkommen und nahtlos da weitermachen, wo wir vor der Reise aufgehört hatten. Das war für uns auch nicht überraschend und gehört zum Projekt "Ich gönne mir eine Auszeit" dazu.

Natürlich hat sich in Bremen einiges geändert, während wir durch das schöne blaue Wasser gesegelt sind. Diese Veränderungen haben sich auf unseren beruflichen Wiedereinstieg positiv ausgewirkt. Ingo und ich gehen wieder einer geregelten Arbeit nach, sind damit sehr glücklich und dankbar, es so gut getroffen zu haben. Das war besonders für Ingo nicht selbstverständlich. Wir haben auf unserer Reise Seglerinnen und Segler getroffen, die Rente bezogen oder in den vorgezogenen Ruhestand gegangen sind, die sich beurlauben lassen konnten oder ihren Betrieb verpachtet oder verkauft haben. Wir haben aber auf unserer gesamten Reise niemanden in unserem Alter getroffen, der seine gut dotierte, sichere Arbeitsstelle gekündigt hat. Ingos Kündigung war für ihn ein harter, schwerer Schritt, der ihm sehr schwergefallen ist. Diesen Mut aufzubringen und auf die eigenen Fähigkeiten und die Zukunft zu vertrauen, das war eine der größten Herausforderungen dieser Reise. Das Abschiedsfoto, das die Kolleginnen und Kollegen damals mit ihm vor dem Firmengebäude aufgenommen haben, betitelten sie "Last day in paradise". Heute war Ingos erster Arbeitstag und dementsprechend Ingos "First day in paradise".

"Habt ihr euch schon wieder eingelebt? Wie ist das, sich nach so einer langen und schönen Zeit wieder an den Alltag zu gewöhnen?" Das sind die mit Abstand am häufigsten gestellten Fragen. Und auch ich habe während unserer Reise die Frage nach dem Wiedereinstieg in den Alltag einem gestandenen Salzbuckel, den wir unterwegs getroffen haben und der das schon einmal durchgemacht hat, gestellt. "Schwer, sehr schwer." Mehr hat Adolf nicht gesagt, als ich ihn auf Lanzarote bei einem Sundowner in unserem Cockpit danach fragte. Eigentlich keine überraschende Antwort, und doch hätte ich lieber etwas Anderes gehört. Er hätte ja auch sagen können "Ganz leicht! Du kommst gut gelaunt und gut erholt voller positiver Eindrücke und Erfahrungen zurück. Im Gepäck wirst Du unglaublich viele schöne Erinnerungen haben, die Dir keiner nehmen kann und von denen Du ein Leben lang zehren kannst und wirst. Viele neue Bekanntschaften wirst Du machen, bei manchen wird eine Freundschaft daraus. Du wirst magische Nächte auf dem Atlantik erlebt haben, Orte besucht haben, deren Namen Du zuvor noch nie gehört hast. Endlich wirst Du Deine Familie und Freunde wiedersehen und voller Schwung wirst Du an die Aufgaben gehen, die an Land auf Dich warten. Es wird wieder Jahreszeiten geben, die Menschen um Dich herum sprechen Deine Sprache und Du kannst im Supermarkt um die Ecke Rote Grütze kaufen, die Du auf deiner Reise schon so lange vermisst."

Und tatsächlich liegt es irgendwo dazwischen - zwischen "sehr schwer" und "sehr schön, wieder zu Hause zu sein."

Wir hatten unterhaltsame Grillabende mit den Nachbarn, Klönschnackrunden mit unseren Freunden, meine Ehrennadel für 25jährige Mitgliedschaft im WVWo wurde mir verliehen und wie versprochen, haben wir gemeinsam darauf angestoßen.

14 Monate haben Ingo und ich auf engstem Raum zusammengelebt, waren nur ganz selten mehr als ein paar Stunden voneinander getrennt. Streit gab es nur ein einziges Mal, den wir aber schnell beilegen konnten. Wir haben einander vertraut und uns blind auf den anderen verlassen können. Wir waren aufeinander angewiesen, und das in einem ganz anderen Umfang, als im normalen Alltag an Land. Wir haben aufeinander aufgepasst. Auf der Amazone legten wir gerade während der Nachtwachen unser Leben in die Hand des Anderen. Niemand wurde überfordert, jeder hat sein bestes gegeben, gegenseitiges Unterstützen war selbstverständlich.

Unsere Jungs haben Haus und Garten während unserer Abwesenheit prima in Schuss gehalten und die Verpflichtungen an uns zurückübertragen. Sie haben mit ihrer Zweier-WG viele Erfahrungen gesammelt und werden demnächst ihren eigenen gemeinsamen Hausstand gründen. So ist das Leben, so muss und soll es sein - Kinder wachsen heran und gehen ihre eigenen Wege.

"Harms Am Wall" ist ein Raub der Flammen geworden. Im Weserpark sind die Umbauarbeiten inzwischen abgeschlossen, und wir haben uns bei unserem ersten Besuch gefühlt wie in einem Irrgarten. Bremen hat einen neuen Bürgermeister, Senat und Bürgerschaft haben sich nach der Bürgerschaftswahl im Mai neu konstituiert. Es war schön, mal wieder über den Freimarkt zu bummeln, "Eis wie Sahne" zu genießen und den Duft von gebrannten Mandeln in der Nase zu haben. Ingo hat seine Fortbildung zum Qualitätsmanager sehr erfolgreich abgeschlossen und festgestellt, dass Lernerfolg nicht vom Alter abhängt. Raschelndes Herbstlaub und Tage, die grau und verregnet sind, geheizte Räume und überfüllte Busse gehören wieder zu unserem Alltag. Da ist es wohl ganz normal, dass wir aktiv an der ersten Erkältungswelle dieses Herbstes teilgenommen haben.

Per E-Mail sind wir weiter in Kontakt mit Segelfreunden, die wir unterwegs getroffen haben. Elke und Walter von der "Sunrise", die wir auf Antigua kennengelernt haben und Robert von der "Cello", den wir seit unserem Aufenthalt in Mindelo auf den Kap Verden kennen, sind im August bei unserer Ankunft in Bremerhaven dabei gewesen, worüber wir uns ganz besonders gefreut haben. Auch in Bremen haben wir schon Besuch bekommen, und wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit vielen von ihnen beim Trans Ocean Jahrestreffen in Cuxhaven.

Und die heimliche Hauptdarstellerin, die Amazone? Wie ist es ihr ergangen? Wir haben sie nach und nach von ihrem "Übergewicht" befreit und einige Wagenladungen mit Ausrüstung von Bord geholt. Sentimentale Stimmung kam bei mir auf, als die Kokusnuss, die seit Tobago an Bord war und unser geliebter ADAC-Karibik-Reiseführer mit vielen anderen Dingen, die sich im Laufe der Reise angesammelt haben, von Bord kamen. Zentimeter um Zentimeter kam die Amazone weiter aus dem Wasser, und wir haben uns doch gewundert, dass sie trotz der enormen Zuladung so gute Segeleigenschaften behalten hatte.

12.000 Seemeilen und 800 Motorstunden haben Spuren hinterlassen, was ja auch nicht sonderlich überraschend ist. Wir haben 14 Monate auf der Amazone gelebt, sie ist zwischendurch nicht an Land geholt worden, und wir haben jede Nacht an Bord verbracht. Seit Ende Oktober steht die Amazone an Land auf ihrem Winterlagerhallenplatz in Bremerhaven-Wulsdorf. Nach unserer Rückkehr Anfang August sind wir nur noch einmal dazu gekommen, mit ihr zu segeln. Ingos Fortbildung ließ es zeitlich einfach nicht zu, mit ihr unterwegs zu sein. Während der Winterzeit stehen jetzt einige Arbeiten an der Amazone an, um in der nächsten Saison wieder fröhlich lossegeln zu können.

Das kurz vor der Reise angeschaffte Großsegel von CO-Segel hat sich bestens bewährt und muss nicht nachgearbeitet werden. Die Genua von Beilken Sails ist weiterhin Gegenstand des Rechtsstreits mit der Firma Beilken. Kurz bevor der Mast gelegt wurde, war ein weiterer vom Gericht bestellter Sachverständiger an Bord, um die Genua zu begutachten und zum Vermessen mitzunehmen. Jetzt warten wir gespannt auf sein Gutachten. Das Verfahren läuft tatsächlich schon drei Jahre, und mittlerweile ist die vierte Richterin zuständig. Geduld und ein langer Atem sind gefragt. Dabei war ein Abschluss des Verfahrens schon in greifbare Nähe gerückt, da wir einem Vergleichsangebot des dritten Richters zugestimmt hatten. Es scheiterte aber leider am Widerstand der Firma Beilken Sails, die nicht bereit war,  die anteiligen Gerichtskosten zu übernehmen.

Neben Arbeit, Bootsüberholung und Haus und Garten beschäftigen wir uns mit unseren Buch-Projekten. Ingo arbeitet an einem Praxis-Handbuch zu dem Thema "Internet auf Reisen". Er hat während unserer Reise viele Erfahrungen gesammelt, die er gerne in Form eines handlichen und leicht verständlichen Ratgebers weitergeben möchte. Mein Buch soll in erster Linie unterhaltend, aber auch informativ sein, und Fotos dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Außerdem bereiten wir den Vortrag über die Reise vor, sichten unser immenses Video- und Foto-Material, um Anfang 2016 einiges davon zu präsentieren. Die Termine koordinieren wir gerade und veröffentlichen sie hier in Kürze.

Demnächst besuche ich mit einem Bekannten im Übersee-Museum die Ausstellung "Faszination Wale". In einem Begleittext heißt es: "Die Schau macht ihrem Namen alle Ehre, sie vermittelt in allen Facetten die Faszination des "Whale watching" für alle diejenigen, die noch nicht das Glück hatten, Wale in freier Wildbahn zu beobachten." Das Glück hatte ich zwar reichlich und eine Begegnung war ja intensiver, als es uns lieb war. Trotzdem oder gerade deshalb freue ich mich schon auf die Sonderausstellung.

Für den kommenden Jahreswechsel haben wir eine kleine Reise gebucht. Wir reisen mit Meerblick. "Ihr habt doch so viel Meerblick gehabt, reicht das denn nicht?" wurden wir gefragt. Offenbar reicht es uns noch nicht. Es gibt Dinge, von denen bekommt man nie genug.