Sonntag, 21.06.2015, 12.00 Uhr

Position 47° 29,9' N; 17° 23,7' W; Etmal: 100 Seemeilen; Rest: 533 Seemeilen

Da passiert eigentlich den ganzen Tag nichts Aufregendes und dann überschlagen sich die Ereignisse geradezu: War das eine Überraschung, als gestern am späten Nachmittag plötzlich die Amazone von der "Lubini" über UKW-Funk gerufen wurde! In den letzten Tagen haben wir per SMS über das Satellitentelefon einmal täglich unsere Positionen ausgetauscht. Daher wussten wir, dass die "Lubini" aufholt und alsbald in die Reichweite des Funks kommen musste. Ach, war das schön, hier draußen eine bekannte Stimme zu hören! Ingo und Klaus haben sich über die Wind- und Wettersituation und die verschiedenen Vorhersagen ausgetauscht. Dass Segler beim Start auf den Azoren Richtung Europa mit wenig bis gar keinem Wind rechnen müssen, aber diese ausgedehnte Flaute ganz ungewöhnlich ist, darin waren sie sich einig.

So plauderten sie miteinander, als ich aus der Pantry heraus mitbekam, dass sich die Angel bewegte. Als Ingo zur Angel blickte, erschrak er. Wir hatten einen Seevogel gefangen und zogen ihn hinter uns her. Wie schrecklich! Das Gespräch mit Klaus hat Ingo schnell beendet, Gas weggenommen und die Angel vorsichtig eingeholt. Als der große Vogel (er hatte eine geschätzte Flügelspannweite von etwa 1,50 Meter) schließlich zum Greifen nahe war, sahen wir, dass er sich - Glück im Unglück - "nur" in der Angelleine verfangen hatte und nicht - wie zunächst von uns befürchtet - den Köder geschluckt hatte. Der arme Vogel flatterte heftig, und wir schnitten zunächst den Köder ab. Dann gelang es Ingo recht schnell, die Angelleine aus den Federn der Schwinge herauszuholen. Der Vogel flatterte davon, landete im Wasser, schlug einige Male mit den Flügeln und sortierte sich erst einmal.

Ein zweiter Vogel war die ganze Zeit in der Nähe geblieben und hatte um uns gekreist. Jetzt landete auch er auf dem Wasser und blieb ganz dicht bei seinem Gefährten oder seiner Gefährtin. Das fand ich unglaublich rührend. Wir wussten nicht, ob der Vogel sich vielleicht verletzt hatte und eingehen würde. So war unsere Stimmung sehr gedrückt, und wir beschlossen nicht mehr zu angeln. Die beiden Vögel blieben auf dem Wasser schwimmend achteraus, und wir verloren sie alsbald aus den Augen. Kurze Zeit später sahen wir sie dann: Die beiden Vögel flogen Seite an Seite über die Amazone hinweg, drehten eine Runde um uns und verschwanden dann am Horizont. Oh, wie erleichtert wir waren!

Nachdem der Motor sagenhafte, unglaubliche zweieinhalb Tage fast ununterbrochen gelaufen hat, konnten wir ihn heute Morgen um 10 Uhr abstellen. Endlich, endlich weht ein laues Lüftchen von etwa drei Beaufort halbem Wind! Die Strömung schiebt auch noch mit, so dass wir etwa vier Knoten Fahrt machen. Ach, ist das herrlich! Diese Ruhe im Boot und dazu der strahlende Sonnenschein! Wäre schön, wenn es so - oder noch ein bisschen flotter - weitergehen könnte.

Wir überlegen, eventuell unser Ziel zu ändern. Statt gleich nach Falmouth zu segeln, könnten wir auch die Isles of Scilly anlaufen. Die Inselgruppe besteht aus 48 Inseln, wovon nur sechs bewohnt sind. Sie sind ein reizvolles Ziel, liegen sozusagen auf unserem Weg, und unser Törn würde sich um 60 Seemeilen verkürzen. Unsere endgültige Entscheidung hängt aber wie immer von der Wind- und Wettervorhersage ab.