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Mittwoch, 06.05.2015, 12.00 Uhr

Position 30° 36,0' N; 64° 24,3' W; Etmal: 152 sm, 106 sm Rest

Wir preschten bei fünf bis sechs Windstärken und hohem, konfusem Seegang mit einem Reff im Großsegel und kleiner Fock mit gut sechs Knoten Fahrt durch das mehr als 5.000 Meter tiefe Wasser, als uns vielleicht ein paar Zentimeter Wasser vor einem großen Unglück bewahrten. Und das kam so:

Wir saßen gegen 17.30 Uhr, etwa 210 Seemeilen vor den Bermudas, gemeinsam im Cockpit, als es wie aus dem Nichts am Ruderblatt heftig polterte. Mein erster Gedanke war gleich, dass wir über etwas drüber gefahren sein mussten. Beide blickten wir zur Pinne und in unser Kielwasser. Ingo hat ihn dann als erster gesehen: "Ein Wal! Wir sind mit einem Wal kollidiert!" Wir sahen direkt an unserem Heck einen großen, eckigen Kopf, ein kleines Auge, das uns fixierte und eine relativ kleine Rückenflosse auf einem riesigen, grauen Körper. Und dann stieß der Wal eine Fontäne, den sogenannten Blas, aus. Vielleicht vor Schreck oder vor Empörung, dass wir ihn unsanft geweckt hatten? Sofort haben wir die Kette der Windfahnensteuerung aus dem Beschlag an der Pinne genommen, und ich habe von Hand gesteuert. Zu unserer großen Erleichterung war mit dem Ruder alles in Ordnung. Als nächstes hat Ingo in die Bilge geschaut, ob wir eventuell Wassereinbruch haben. Aber zum Glück war auch hier alles in Ordnung. Außerdem haben wir die Position und den Vorfall als "Besonderes Vorkommnis" im Logbuch notiert.

Wir sind nicht in Hektik verfallen, sind ruhig geblieben und haben alle Schritte besonnen überlegt, aber natürlich ist uns ein großer Schreck in die Glieder gefahren. Jetzt, wo ich das Ereignis schildere, zittere ich doch wieder ein bisschen. Und jetzt komme ich auf die vielleicht rettenden Zentimeter Wasser zurück: Wir haben den Vorfall so rekonstruiert, dass wir den (schlafenden?) an der Wasseroberfläche treibenden Wal mit unserem Ruder gestreift haben müssen. Wahrscheinlich hat uns eine Welle im richtigen Moment etwas angehoben, so dass die Amazone nur relativ leicht von dem Wal genau am Ruder getroffen und leicht von ihm angehoben wurde. Jedenfalls sind wir uns sicher, dass wir das Tier nicht mit dem Kiel berührt haben.

Das Ruderblatt ist bei einem Boot ein sehr exponiertes Teil und macht es dort "verwundbar". Nun ist es bei der Amazone allerdings so, dass sie kein völlig freistehendes Ruderblatt hat. Es ist durch ein sogenanntes Skeg geschützt. Das Skeg befindet sich wie ein Aufprallschutz direkt vor dem Ruderblatt. Es ist, genau wie das Ruderblatt selbst, aus Edelstahl gefertigt. Das Skeg ist mit drei Rohren, das Ruder mit einem Rohr mit dem Rumpf verbunden. Am unteren Ende ist das Skeg mit dem Ruderblatt durch eine Edelstahlplatte verbunden. Es befindet sich dort auch ein Lager.

Wir segeln hier ganz allein durch diese endlos scheinende Weite, Platz ohne Ende sollte man meinen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass der Wal und die Amazone sich ausgerechnet hier treffen? Das war ein Szenario, vor dem sich alle Seglerinnen und Segler fürchten. Keine noch so ausgefeilte Elektronik schützt uns vor einer solchen Kollision. Letztlich hatten wir großes Glück im Unglück und sind im wahrsten Sinne des Wortes an einer Katastrophe vorbeigeschrammt.

Im Laufe der Nacht hat der Wind abgeflaut, wir haben im Morgengrauen das Großsegel ganz ausgerefft und die Genua ganz ausgerollt. Bei etwa vier Windstärken zuckeln wir jetzt bei östlichem Wind friedlich dahin. Der Seegang hat sich beruhigt, das Leben an Bord ist wieder leichter geworden. Morgen im Laufe des Vormittags sollten wir die Bermudas erreicht haben. Nur noch eine Nacht um die Ohren schlagen - was für eine schöne Aussicht!