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Freitag, 01.05.2015, 12.00 Uhr

Position: 19° 55,8' N; 63° 18,9' W; zurückgelegt: 115 sm, 751 sm Rest

Wir sind gestern Vormittag ein letztes Mal an Land gefahren, haben das Schlauchboot bei Shrimpys Dinghy Dock festgemacht und uns die Zeit, bis die Wind- und Wettervorhersage kurz nach elf Uhr auf unserem Rechner war, mit einem Spaziergang vertrieben.

Von Dörte und Paul hatten wir erfahren, dass es hier in St. Martin einen Künstler gibt, der wunderschöne Bilder mit Intarsienarbeiten fertigt. Sein Atelier hat Monsieur Straub in einer kleinen Seitenstraße in einer ehemaligen Segelmacherwerkstatt. Es liegt ziemlich versteckt, doch wir haben es schließlich gefunden und den Künstler bei der Arbeit angetroffen. Ein hübsches Atelier hat er sich hier geschaffen. In einem Teil des kleinen Gebäudes steht seine Werkbank, an der er die filigranen Holzfurnier-Einlegearbeiten erstellt. Im anderen Teil hat er seine Werke ausgestellt. Wir sind mit dem netten Monsieur Straub ins Gespräch gekommen, und er hat uns gezeigt, wie seine Werke entstehen. Nicht ganz billig, so eine Einlegearbeit für die Wohnzimmerwand. Aber billig sieht es auch nicht aus, sondern ausgefallen, mit karibischen Motiven. Der Künstler stammt ursprünglich aus dem Elsass, war sechs Jahre mit seinem Segelboot unterwegs, ist hier auf St. Martin hängengeblieben. Aus einem geplanten sechsmonatigen Aufenthalt sind inzwischen schon 16 Jahre geworden.

Nach dem Besuch im Atelier haben wir dann bei Shrimpy die Wind- und Wettervorhersage auf unseren Rechner bekommen. Für die nächsten fünf Tage sind es ganz vielversprechend aus, und wir beschließen, heute die Karibik Richtung Bermudas zu verlassen. Wir verabschieden uns von Michael "Shrimpy" Glatz, und fast schon liebevoll wendet er sich an unser Schlauchboot: "Mach's gut, kleine Gummiwurscht!"

Gegen 13.30 Uhr holen wir zum letzten Mal unseren Anker aus dem türkisfarbenen Wasser mit dem herrlich weißen Korallensand. Langsam tuckern wir aus dem Ankerfeld, setzen die Segel und schon nimmt die emotionale Achterbahn rasante Fahrt auf. Wie schwer mir der Abschied fällt! Es war so eine wunderbare Zeit mit so unglaublich vielen, schönen und interessanten Eindrücken. Mein Papa hat immer gesagt: "Ein Seemann guckt immer nach vorn." Und genau das machen wir jetzt auch. Nach vorne sehen, auf die nächsten Ziele und Eindrücke gespannt sein, uns auf zu Hause freuen - Rolling home!

Bei fast achterlichem Wind kommen wir mit Großsegel und Genua ganz gut voran, bevor am frühen Nachmittag der Wind einschläft und wir den Volvo um seine Unterstützung bitten. Gegen 20.30 Uhr kommt der Wind mit etwa vier Beaufort zurück und wir segeln in eine ruhige Nacht. Obwohl hier unheimlich viel Platz ist, kommt uns gegen 0.30 Uhr ein Frachter sehr nahe. Etwa eine halbe Stunde verfolge ich auf unserem Plotter sein AIS-Signal und stelle fest, dass er unbeirrt an dem Kollisionskurs festhält. Er ist mit 12 Knoten Fahrt auf dem Weg nach Columbien. Da habe ich auch gar nichts dagegen, aber er soll uns auf seinem Weg bitteschön nicht versenken. Schließlich spreche ich ihn über UKW-Funk an und bekomme umgehend ein Antwort. Er wird seinen Kurs ändern und hinter unserem Heck durchgehen. Prima, danke! Er passiert uns dann mit ordentlich Abstand, was bedeutet, dass er seinen Kurs radikal geändert hat. Dieses Automatische Identifizierungs System ist wirklich mein Lieblings-Ausrüstungsgegenstand!

Später kreuzte noch ein Frachter unseren Kurs, allerdings ohne uns in die Quere zu kommen. Auch zwei Segelyachten gingen vor uns durch, vielleicht sind sie auf direktem Kurs zu den Azoren. Jetzt gerade segeln wir bei herrlichem Sonnenschein mit vollem Groß und voller Genua bei vier Beaufort südöstlichem Wind und Seegang von 1,7 m. Die aktuelle Wind- und Wettervorhersage ist auch schon da. Eine gravierende Änderung der Bedingungen tritt zunächst nicht ein. Am Sonntag werden wir es wohl mit sehr wenig Wind aushalten müssen. Na ja, es gibt Schlimmeres.